Kann eine natürliche Ernährung Ergänzungspräparate nötig haben?

This article in the English original: Can a Natural Diet Require Supplements?
zuletzt aktualisiert: März 2012

Wenn wir zugeben, dass Veganer B12 durch angereicherte Nahrungsmittel oder Vitaminpräparate zu sich nehmen müssen, sagen wir dann, dass eine vegane Ernährung unnatürlich ist?

Eine Tatsache, die man benken kann, ist, dass Fäkalien eine große Menge B12 enthalten und dass, falls wir „in der Natur“ leben würden und weiterhin vegan leben wollten, wir ausreichend B12 durch Kot zu uns nehmen könnten. Es wäre allerdings gut, sich Mühe zu geben, um sicherzustellen, dass alle Bakterien abgetötet und Viruse neutralisiert würden. Zugegebenerweise ist dies nicht sehr appetitlich.

Mir wurde auch von verschiedenen Leuten gesagt, dass sie und andere Veganer, die sie kennen, weder B12-Präparate einnehmen noch angereicherte Nahrungsmittel essen würden und trotzdem gesund seien. Während viele Veganer keine B12-Präparate einnehmen und jahrelang anscheinend gesund bleiben, kennen diese Veganer normalerweise ihre Homocysteinwerte nicht, was zur Entwicklung von chronischen Krankheiten beitragen könnte.Und oft bekommen diese Veganer später gesundheitliche Probleme (siehe Einzelfälle von B12-Mangel). Wer annimt, er hätte eine normale B12-Zufuhr nicht mehr nötig, geht ein großes Risiko ein.

Da die Menschen heute länger leben, kann das Homocystein im Körper länger Schaden anrichten. Aus diesem Grund ist der Bedarf des Menschen an B12 mit der Zeit gestiegen. Je länger ein Veganer kein B12 zusätzlich einnimmt, desto tiefer fällt sein Spiegel von aktivem B12 und desto höher wird der Homocysteinspiegel.

In westlichen Gesellschaften ist es heutzutage einfach, eine ausreichende Versorgung mit B12 sicherzustellen. Veganer, die ein B12-Präparat einnehmen, können bessere B12-Werte haben als Nicht-Vegetarier, die kein B12 zusätzlich einnehmen. In der Tat empfiehlt das Food and Nutrition Board [USA], dass alle Personen über 50 (nicht nur Veganer) „die empfohlene Tagesdosis durch mit B12 angereicherte Nahrungsmittel oder B12-Vitaminpräparate abdecken“ sollten.

Ist vegane Ernährung natürlich?

Ob es irgendwelche prähistorischen, vegan lebenden Menschen gab, können die hier präsentierten Forschungsergebnisse zu Vitamin B12 nicht klären. Ich empfehle einen Artikel von Tom Billings, in dem das Thema der Natürlichkeit einer veganen Ernährung untersucht wird: Comparative Anatomy and Physiology Brought Up to Date: Are Humans Natural Frugivores/Vegetarians, or Omnivores/Faunivores? Nach ausgiebiger Auswertung bestehender Forschungsergebnisse folgert Billings, dass Menschen keine natürlichen Vegetarier oder Veganer sind. Trotzdem sagt er:

„Ich bin sowohl pro Vegetarismus als auch pro Rohkost [viel Rohkost zu essen]. Meine Leser sollten wissen, dass ich langjähriger Vegetarier (seit 1970) und ehemaliger langjähriger ‚Frutarier’ (mehr als acht Jahre; ebenfalls ehemaliger Veganer) bin,... Trotzdem bin ich bestimmt kein Fürsprecher – oder ein ‚Prediger’ – für irgendeine bestimmte Ernährungsweise. Ehrlich gesagt bin ich es leid zu sehen, wie für rohe und [vegane/vegetarische] Ernährungsweisen auf negative Art und Weise von Extremisten geworben wird, deren feindseliges und unehrliches Verhalten ein Verrat an den positiven moralischen Prinzipien sind, die angeblich der Kern des Vegetarismus/Veganismus sein sollen.“

Er fährt fort:

„Man braucht die Natürlichkeits-Behauptung überhaupt nicht, um Vegetarier/Veganer zu sein! D.h. moralische/spirituelle Gründe allein reichen aus, um eine vegetarische/vegane Lebensweise zu rechtfertigen (selbstverständlich vorausgesetzt diese Ernährungsweise funtioniert für dich). Falls die Motivation für deine Ernährungsweise moralisch und/oder spirituell begründet ist, dann willst du wohl auch, dass die Grundlage deiner Ernährungsweise ehrlich und mitfühlend ist. In diesem Fall stellt der Abschied von diesem unwahren Natürlichkeits-Mythos kein Problem dar. Diesen unwahren Mythos loszuwerden, ist tatsächlich wie das Ablegen einer Last.“

Ebenfalls interessant ist der Artikel Humans are Omnivores, eine überarbeitete Version eines Vortrags von Dr. John McArdle [PhD] (ursprünglich veröffentlicht in der Mai/Juni 1992 Ausgabe des Vegetarian Journal). Der Blog PaleoVeganology hat ebenfalls interessante Informationen zu den Ernährungsweisen unserer Vorfahren.

Wessen Ernährung ist wirklich natürlich?

Ich sollte gleich von vorneherein sagen, dass ich überhaupt in keiner Art und Weise wie meine prähistorischen Vorfahren leben möchte. Ich bin froh, dass sie überleben konnten, obwohl das Leben damals garstig, brutal und kurz war, so dass ich eines Tages täglich stundenlang an einem MacBook sitzen und schreiben kann. Ich habe jedoch schon länger gelebt, als sie jemals gelebt hätten, während ich Nahrungsmittel esse, die sie zum großen Teil nicht wiedererkennen würden, und während ich sowohl als Kind Vitaminpräparate eingenommen habe und auch als Erwachsener Vitaminpräparate einnehme.

Die Vorstellung, dass eine prähistorische Ernährungsweise heutzutage ungefähr nachgemacht werden könnte oder dass dies die optimale Ernährungsweise wäre, ist fraglich. Heute kommerziell erhältliche, pflanzliche Nahrungsmittel und kommerziell erhältliches Fleisch unterscheiden sich von den Nahrungsmitteln, die es zu prähistorischen Zeiten gab. Wir essen Hybridformen von Pflanzen und wir füttern Tieren Nahrungsmittel, die sie normalerweise nicht essen würden. Wir sperren sie auf engem Raum ein, damit sie sich nicht viel bewegen. Nahrungsmittel in den USA werden routinemäβig mit den verschiedensten Vitaminen und Mineralstoffen angereichert (wie z.B. Vitamin D in Milch) - und die meisten Menschen, die sich als Erwachsene Ernährungsweisen zuwenden, die sie für natürlicher halten, haben oft bereits von dieser Anreicherung profitiert. In den letzten zweihundert Jahren hat die Ernährungswissenschaft alle möglichen schweren gesundheitlichen Probleme beseitigt, unter denen Menschen seit Urzeiten gelitten hatten.

Anhänger der „Paläo-Ernährung“ sind wahrscheinlich die lautstarksten Anti-Vegetarier unter den Anhängern von „natürlicher“ Ernährung. Interessanterweise essen diese selten Insekten, Maden und Würmer, die laut dem Autor von Paleoveganology (in seinem Post What, No Bugs?!) „den Menschen und anderen Primaten seit langem Nährstoffe lieferten und dies in den moisten Teilen der Welt noch heute tun.” Man kann also daran zweifeln, wie naturnah diese sich tatsächlich ernähren wollen.

die Zukunft von Studien mit Veganern

Viele Veganer sind verständlicherweise der medizinischen und wissenschaftlichen Fachwelt gegenüber skeptisch. Aber dadurch, dass wir uns weigern, die wissenschaftlichen Beweise für die Notwendigkeit einer zusätzlichen Einnahme von B12 anzuerkennen, liefern wir der medizinischen Fachwelt einen ununterbrochenen Strom von Veganern in schlechtem gesundheitlichen Zustand als Studienobjekte. Wenn du der medizinischen Fachwelt nicht ganz traust, ist das Beste, das du tun kannst, sicherzustellen, dass du keinen B12-Mangel bekommst und zu einem ihrer Studienobjekte wirst.

Ich bin dankbar dafür, dass Studien mit Veganern gemacht wurden, die keine B12-Präparate einnehmen. Aber irgendwann reicht es. Es ist die Verantwortung der veganen Bewegung, diesen Strom an Studienobjekten zu beenden. Wenn Forscher sich dazu entschlieβen Studien durchzuführen, die die gesundheitlichen Probleme von Veganern untersuchen, die ihre Ernährung nicht zusätzlich durch B12 ergänzen, dann wäre es am besten, wenn sie einfach keine solchen Veganer finden könnten.

Ermutige neue Veganer dazu, ein B12-Präparat einzunehmen.

Alle, die den Veganismus verbreiten wollen, sollten sich den Symptomen eines B12-Mangels bewusst sein (im Wissen, dass es zu erhöhten Homocysteinwerten kommt, lange bevor diese Symptome bemerkbar werden) und sollten ebenfalls wissen, dass es notwendig ist, dass neue Veganer anfangen, ein B12-Präparat einzunehmen – bald nach ihrer Umstellung auf eine vegane (oder auch nur fast vegane) Ernährung.