Kant und die indirekten Pflichten


In seinem Werk "Die Metaphysik der Sitten" schreibt Immanuel Kant, dass der Mensch gegenüber (nicht-menschlichen) Tieren moralische Pflichten habe, aber nur indirekte. Das heißt, Kant ging davon aus, dass Tiere an sich nicht direkt, um ihrer selbst willen, moralisch berücksichtigt werden müssen. Vielmehr führe, laut Kant, gewalttätiges Verhalten gegen Tiere zu einer Art von Verrohung der gegen die Tiere gewaltausübenden Menschen.  

Das ist nichts Neues und wurde, spätestens seit Leonard Nelson vor 100 Jahren, schon von jedem Tierrechtsphilosophen kritisiert. Diese Kritik wurde jedoch ebenfalls, unter anderem als Misinterpretation Kants, kritisiert (Müller et al. 2022).

Hier auf jeden Fall das Originalzitat, allerdings in modernem Deutsch. Kant schrieb noch von "Thieren", "Tödtung" und "Speculation" (siehe Fotos des Originaltexts unten).

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§ 17.

In Ansehung des Schönen obgleich Leblosen in der Natur ist ein Hang zum bloßen Zerstören (spiritus destructionis) der Pflicht des Menschen gegen sich selbst zuwider; weil es dasjenige Gefühl im Menschen schwächt oder vertilgt, was zwar nicht für sich allein schon moralisch ist, aber doch diejenige Stimmung der Sinnlichkeit, welche die Moralität sehr befördert, wenigstens dazu vorbereitet, nämlich etwas auch ohne Absicht auf Nutzen zu lieben (z. B. die schöne Kristallisationen, das unbeschreiblich Schöne des Gewächsreichs).
In Ansehung des lebenden, obgleich vernunftlosen Teils der Geschöpfe ist die Pflicht der Enthaltung von gewaltsamer und zugleich grausamer Behandlung der Tiere der Pflicht des Menschen gegen sich selbst weit inniglicher entgegengesetzt, weil dadurch das Mitgefühl an ihrem Leiden im Menschen abgestumpft und dadurch eine der Moralität, im Verhältnisse zu anderen Menschen, sehr diensame natürliche Anlage geschwächt und nach und nach ausgetilgt wird; obgleich ihre behende (ohne Qual verrichtete) Tötung, oder auch ihre, nur nicht bis über Vermögen angestrengte, Arbeit (dergleichen auch wohl Menschen sich gefallen lassen müssen) unter die Befugnisse des Menschen gehören; da hingegen die martervolle physische Versuche, zum bloßen Behuf der Spekulation, wenn auch ohne sie der Zweck erreicht werden könnte, zu verabscheuen sind. – Selbst Dankbarkeit für lang geleistete Dienste eines alten Pferdes oder Hundes (gleich als ob sie Hausgenossen wären) gehört indirekt zur Pflicht des Menschen, nämlich in Ansehung dieser Tiere, direkt aber betrachtet ist sie immer nur Pflicht des Menschen gegen sich selbst."



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Zu finden in:

Immanuel Kant:
Die Metaphysik der Sitten
   Zweiter Teil.
      Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre
         I. Ethische Elementarlehre
            I. Teil. Von den Pflichten gegen sich selbst überhaupt
               Erstes Buch. Von den vollkommenen Pflichten gegen sich selbst
                  Zweites Hauptstück. Die Pflicht des Menschen gegen sich selbst, bloß als einem moralischen Wesen
                     2. Abschnitt. Von dem ersten Gebot aller Pflichten gegen sich selbst
                        Episodischer Abschnitt. Von der Amphibolie der moralischen Reflexionsbegriffe
                           § 17