Positionspapier der DGE zu veganer Ernährung 2016

Fehler und Ungenauigkeiten im Positionspapier der DGE zu veganer Ernährung


Update 22. April 2016
Die British Nutrition Foundation wurde im DGE-Positionspapier falsch zitiert. Im Positionspapier steht: "Die British Nutrition Foundation schätzt diese Ernährungsform [gut geplante vegane Ernährung] für diese Lebensphase [Kindheit und Jugend] wegen Gefahr von Wachstumsdefiziten und Mangelernährung als "nicht empfehlenswert" ein." Diese Aussage ist nicht richtig.

Die DGE bezieht sich allem Anschein nach auf eine Passage auf Seite 17 des PDFs von Phillips/British Nutrition Foundation (Phillips F: Vegetarian nutrition. Nutrition Bulletin 30: 132–167 (2005)):
"Malnutrition and poor growth, and in a few cases death, have been reported among infants and children fed very restricted vegan and macrobiotic diets and these diets are not recommended."

Phillips bezieht sich hier nicht auf vegane Ernährung allgemein, sondern auf ganz spezielle Fälle von sehr eingeschränkten veganen Ernährungsformen - siehe die drei von Phillips genannten Quellen. Auf Seite 21 des PDFs von Phillips unter "Key Points" wird dies wiederholt: "Restrictive dietary patterns, such as some extreme macrobiotic diets, have been found to lead to poor growth and malnutrition; such diets are not recommended for infants and children."

Die drei von Phillips genannten Quellen für extreme Ernährungsformen, die "nicht empfohlen" werden, sind:

Shinwell ED, Gorodischer R: Totally vegetarian diets and infant nutrition. Pediatrics 70(4): 582-586 (1982)

Zmora E, Gorodischer R, Bar-Ziv J: Multiple nutritional deficiencies in infants from a strict vegetarian community. Am J Dis Child 133(2):141-144 (1979)

Roberts IF, West RJ, Ogilvie D, Dillon MJ: Malnutrition in infants receiving cult diets: a form of child abuse. Br Med J 1(6159): 296-298 (1979)

Die erste zwei dieser Quellen (Shinwell und Gorodischer 1982, Zmora et al 1979) sind auch in meinem Buch ("Veganismus") genannt. Sie beschreiben sehr tragische Fälle von extremen Nährstoffmängeln bei der religiösen Gemeinschaft "African Hebrew Israelites" in Israel - um 1980.

Zmora et al 1979:
"Severe nutritional deficiencies developed in four infants from a new vegan religious community. They had received breast milk until the age of 3 months; thereafter, breast milk was supplemented with or replaced by extremely low caloric-density preparations. All of the infants had profound protein-caloric malnutrition, severe rickets, osteoporosis, and vitamin B12 and other deficiencies. One infant died, while the three others had an uneventful recovery. After discharge of the infants from the hospital, the community responded well to a modification of the infants' diet, which did not violate their vegetarian philosophy. However, they refused to give their infants vitamin B12 on a regular basis."

Shinwell und Gorodischer 1982:
"Twenty-five infants of this community who were seen at the hospital showed evidence of protein-calorie malnutrition, iron- and vitamin B12-deficient anemia, rickets, zinc deficiency, and multiple recurrent infections. Evidence of growth retardation was also found in 47 infants seen at the local mother-child health (well-baby) clinic. Samples of breast milk showed low levels of carbohydrate (1.6 to 3.5 gm/100 ml), protein (0.8 to 1.4 gm/100 ml), and fat (2.4 to 4.1 gm/100 ml). The main constituent of the infants' diet after the age of 3 months (a "soya milk" prepared at the community's central kitchen) was extremely dilute with a very low calorific value (13.7 kcal/100 ml). Persistent attempts to find dietary modifications that would satisfy both the vegan philosophy and also the recommended dietary allowances failed."

Die dritte Quelle (Roberts et al 1979) beschreibt vier Fälle:
- ein Kind mit u.a. Kwashiorkor und B12-Mangel:
"His parents were converts to a cult whose main tenet was adherence to an uncooked, restricted vegetable diet. Since birth the child had received only breast milk and uncooked fruits and vegetables; he had not received any cereals or legumes."

- ein extrem unterernährtes Kind mit u.a. Ödemen (kein Kwashiorkor):
"This boy was initially breast-fed, but at an age of 4 weeks was started on a macrobiotic infant food known as kokoh, which consists of rice, wheat, oats, bena, and sesame flour". (B12 wurde nicht erwähnt.)

- ein weiteres unterernährtes Kind mit u.a. Vitamin D-Mangel-Rachitis:
"This girl, whose parents adhered to a macrobiotic diet, was weaned at 5 months onto a diet of kokoh, vegetables, and brown rice". (B12 wurde nicht erwähnt.)

- ein weiteres unterernährtes Kind (6 Jahre alt):
"Both parents adhered to the macrobiotic diet and philosophy. Although partially breast-fed, from the age of 4 months she had been fed mainly on kokoh. On examination she was hungry and wasted with virtually no subcutaneous fat." (B12 wurde nicht erwähnt.)

Es ist anzunehmen, dass alle vier Kinder zusätzlich einen B12-Mangel hatten.


Obwohl diese Fälle alt sind, sind sie keineswegs irrelevant und ähnliche Fälle sind auch nach dem Jahr 2000 aufgetreten - siehe das Kapitel "Tote vegane Babys" in meinem Buch "Veganismus".

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Original-Post:
Aus Zeitmangel ein sehr kurzer Post zum brandneuen DGE-Positionspapier 2016 zu veganer Ernährung:

Trotz der noch kritischen Stellung zu veganer Ernährung während der Schwangerschaft, Stillzeit, Kindheit und im Jugendalter ist diese ausführliche Beschäftigung der DGE mit diesem Thema und ihre formelle Stellungnahme zu diesem Thema sehr erfreulich - und herzliche Dankbarkeit von Seiten der "veganen Bewegung" scheint mir angebracht.

Je mehr Wissenschaftler (jeglichen Geschlechts) sich mit dem Thema beschäftigen, desto mehr können wir über vegane Ernährung in Erfahrung bringen - über die Vorteile, die Nachteile und wie man die Nachteile einfach vermeiden kann.

Ein paar inhaltliche Anmerkungen:

Vitamin D - Pilze besser nicht als alleinige Vitamin D-Quelle im Winter verwenden - so besonders viel Vitamin D enthalten sie meistens nicht. Ich empfehle im Winterhalbjahr ein Supplement, z. B. "Veg 1" von der Vegan Society (eine Tablette pro Tag) oder "DEVA Vitamin D2 2400 IU" (eine halbe Tabelette pro Tag ungefähr).

Calcium - 100 g Paranüsse enthalten ca. 160 g Calcium und ungefähr 1900 mcg Selen - d. h. relativ wenig und schlecht verfügbares Calcium und extrem viel Selen. Wegen dem hohen Selengehalt besser nur 1 bis 3 Paranüsse pro Tag essen. Man fällt natürlich nicht gleich tot um, wenn man einmal eine ganze Packung Paranüsse isst. Auch andere Nüsse oder Bohnen sind nicht die allerbesten Calcium-Quellen.

Vitamin B12 - "Eine ausreichende Vitamin-B12-Versorgung ist nach derzeitigem Kenntnisstand bei veganer Ernährung ohne die Einnahme von Nährstoffpräparaten nicht möglich." Dem kann man nur zustimmen.

Kartoffeln - Warum die DGE immer Kartoffeln so lobt, ist mir schleierhaft. Von der Harvard School of Public Health werden Kartoffeln typischerweise nicht empfohlen (zu mikronährstoffarm).

Nordamerika - geht meines Wissens bis nach Panama. Aber US-Amerikaner und Kanadier bezeichnen öfter nur ihre zwei Länder als "Nordamerika" und vielleicht existieren verschiedene offizielle Definitionen. :D

alle essenziellen Nährstoffe - "Bei veganer Ernährung ist eine ausreichende Versorgung mit einigen Nährstoffen nicht [meine Hervorhebung] oder nur schwer möglich." - Dieser Satz scheint im Wiederspruch zum restlichen Positionspapier zu stehen.
Eine ausreichende Versorgung mit allen notwendigen Nährstoffen ist auf vegane Weise (einschließlich Supplementen/angereicherten Produkten) möglich - ob das sehr einfach oder sehr schwer ist, ist Ansichtssache. Ich nehme an, keiner der Autoren des DGE-Positionspapiers lebt vegan.



Hier ist meine Nährstoff-Checkliste für Veganer.