Vegane Ernährung führt nicht zu "Orthorexie" (letter to the editor)


Vor Kurzem habe ich einen Leserbrief (letter to the editor) an das Journal "Eating and Weight Disorders" geschrieben - und dieser wurde (doch mit relativ viel Glück) im Februar 2021 in diesem doch schon ein bisschen renommierten Journal veröffentlicht.

Ich finde, das ist gut – nicht nur aus Egowahn, sondern auch weil mir scheint, dass viele Wissenschaftler, in diesem Fall besonders Psychologen, einer Hypothese anhängen, die besagt, dass vegane Ernährung, weil sie ja so "restriktiv" ist, zu einer psychischen Erkrankung führen kann, nämlich einer Essstörung. Die Idee ist also: vegane Ernährung à Man weiß gar nicht mehr, was man essen soll und entwickelt vor lauter Restriktion einen Wahn, dass alles Ungesunde reines Gift sei (oder so ähnlich). Diese Art von Essstörung  eine Besessenheit (Obsession) mit gesunder Nahrung – nennt man Orthorexie oder Orthorexia nervosa (englisch: orthorexia).

Gewissermaßen ist diese Logik nachvollziehbar. Jedoch ist sie durch die praktische Erfahrung kaum belegt.

Wissenschaftler*'#!%:innen geben aber nicht viel auf praktische Erfahrung (d. h. Anekdoten und Geschwätz), sondern fordern harte Fakten in Form von Studienergebnissen, sogenannte "Evidenz". Das ist auch richtig so.

Für die Produktion solcher Evidenz braucht man Studien. Und bei so einer Studie braucht man irgendeine Messmethode. Die Messmethode der Psychologen sind oft Fragebögen. Soweit so gut. Ein Problem ist es, wenn der Fragebogen unpassend für eine bestimmte Zielgruppe (z. B. Veganer) konzipiert ist. Genau das ist hier der Fall. Der verwendete Fragebogen hier heißt "Düsseldorfer Orthorexie-Skala". Es gibt noch andere Fragebögen im Bereich Orthorexia nervosa, aber diese haben ebenfalls ähnliche Probleme.

Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass die Definition von Orthorexia nervosa recht vage ist. Daher ist es auch umstritten, ob es sich bei Orthorexia nervosa tatsächlich um eine Krankheit (Essstörung) handelt.

In meinem Leserbrief sind die problematischen Aspekte der Düsseldorfer Orthorexie-Skala aufgelistet, aufgrund derer der Fragebogen in seiner gegenwärtigen Form, meiner Ansicht nicht, für Veganer vollkommen ungeeignet ist.

Es gibt schon ziemlich viele – überraschend viele – Studien zum Thema vegane Ernährung und Orthorexie und diese Studien belegen keineswegs die Hypothese, dass vegane Ernährung ein kausaler Faktor für die Entstehung von Essstörungen wäre oder auch nur sein könnte.

Man könnte vermuten, das Ganze beruhte schon von Anfang an auf einer bei nicht-veganen und keineswegs mit veganer Ernährung in der Praxis vertrauten Wissenschaftlern falschen Vorstellung, dass vegane Ernährung so restriktiv ist, dass man gar nicht mehr weiß, was man außer rohen Karotten überhaupt noch essen kann. Ein Missverständnis also.

Der vollständige Artikel (Leserbrief, letter to the editor) ist kostenlos online erhältlich. Hoffentlich lesen ihn viele, besonders auch Ärzte und Psychologen.