Interview mit Sandra Hood (deutsch)


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(Juni 2011)

 

Sandra Hood ist Ernährungswissenschaftlerin aus dem Vereinigten Königreich und die Autorin von „Feeding your vegan infant – with confidence”, das von der Vegan Society veröffentlicht wurde. Sie arbeitete zusammen mit Plamil Foods an der Veröffentlichung von „Vegan Infants Case Histories”, um zu zeigen, dass vegane Ernährung bei Babys und Kindern problemlos ohne gesundheitliche Nachteile funktionieren kann und dass vegane Ernährung sogar Vorteile für die Gesundheit der Kinder bieten kann.  
 
1) Seit wann sind Sie schon vegan und warum wurden Sie vegan?
Ich bin jetzt über 30 Jahre vegan. Ich wurde über Nacht vegan (vorher aß ich Fleisch), nachdem ich ein Flugblatt der Vegan Society über das Leiden von Milchkühen gelesen hatte. Mir gefiel einfach nicht, dass Grausamkeit und Milchprodukte zusammenhängen. Ich bin überzeugt, dass eine Kuh viel mehr Leiden durchmacht wie ein Rind, das für Fleisch gezüchtet wird, weil sie immer wieder erleiden muss, wie ihr ihr Kalb weggenommen wird, damit Menschen ihre Milch trinken können. 

2) Sollte eine Veganerin, die schwanger werden will, vorher irgendwelche Vorkehrungen treffen? Sollte sie sich auf bestimmte Nährstoffe untersuchen lassen?
Jede Frau, die eine Schwangerschaft plant, sollte gut darüber nachdenken, egal ob sie Veganerin, Vegetarierin oder Mischköstlerin ist. Es besteht kein Grund, vorher spezielle Tests machen zu lassen. Eine vegane Ernährung liefert alle grundlegenden Nährstoffe, die für eine Schwangerschaft wichtig sind, mit der eventuellen Ausnahme von Vitamin B12, das in Form eines Vitaminpräparats zugeführt werden sollte, falls die Ernährung nicht ausreichend mit Vitamin B12 angereicherte Nahrungsmittel enthält. Die einzigen anderen Vitaminpräparate, die auch für alle anderen Frauen zu empfehlen sind, sind Vitamin D und Folsäure. 

3) Welche Risiken bestehen für Mutter und Baby, wenn eine Veganerin schwanger wird, während sie einen B12-Mangel hat?
Man kann gar nicht genug betonen, wie wichtig es ist, genügend Vitamin B12 zu sich zu nehmen. B12-Mangel während der Schwangerschaft erhöht das Risiko für Neuralrohrdefekte und wenn das Baby ohne ausreichend gespeichertes Vitamin B12 geboren wird, kann das zu Gedeihstörung, Entwicklungstörungen und Gehirnschäden führen, die eventuell irreversibel sind.

4) Welche Rolle spielt Folsäure während der Schwangerschaft und was sind gute Quellen für Folsäure?
Folsäure ist essenziell für die Entwicklung eines Babys und eine unzureichende Zufuhr kann zu Neuralrohrdefekten führen. Folsäure-Präparate zu verwenden ist eine Routineempfehlung für alle Frauen, die schwanger werden wollen, und bis mindestens zur zwölften Schwangerschaftswoche. Vegane Ernährungsformen enthalten viel von diesem Vitamin und gute Quellen sind z.B. grünes Blattgemüse, Vollkornprodukte, Datteln, Nüsse, Orangen, Avocados und Hefeextrakt. Trotzdem ist es zu empfehlen, ein Folsäurepräparat einzunehmen. 

5) Wie lange sollte ein veganes Baby gestillt werden und wann sollte man anfangen, dem Baby andere Nahrungsmittel (wie z.B. vegane Milchalternativen) zu geben?
Alle Babys, ob vegan oder nicht, sollten so lange gestillt werden, wie Mutter und Baby das wünschen. Muttermilch versorgt ein Baby bis zum Alter von sechs Monaten mit allen Nährstoffen. Feste Nahrung sollte man vor dem Alter von vier Monaten noch nicht geben, weil ein potenzielles Risiko für Allergien besteht, da das Verdauungssystem des Babys noch nicht sehr weit entwickelt und eventuell noch nicht in der Lage ist, schon so früh Nahrungsmittel zu verdauen. Pflanzliche Milchsorten kann man dem veganen Baby geben, wenn man aufhört zu stillen – aber nicht als einziges Nahrungsmittel.

6) Auf welche Nährstoffe sollte man bei der Kinderernährung besonders achten und welche Nahrungsmittel, angereicherte Pordukte oder Ergänzungspräparate sind die besten Quellen?
Eine vegane Ernährung kann, wie bereits erwähnt, alle Nährstoffe, die für Wachstum und Entwicklung wichtig sind, liefern – mit der eventuellen Ausnahme von Vitamin B12 und das sollte man als Vitaminpräparat zu sich nehmen, wenn die Ernährung nicht ausreichend mit B12 angereicherte Produkte enthält. Allen Kleinkindern, ob sie vegan sind oder nicht, sollte man bis zum Alter von fünf Jahren Vitamintropfen geben. 

Äußerst wichtige Nährstoffe für vegane Kinder:
Protein – der Bedarf kann einfach gedeckt werden, wenn das Kind eine abwechslungsreiche Ernährung hat. Gute Proteinquellen sind Hülsenfrüchte, Getreide, Nüsse und Samenkerne. Calcium ist auch wichtig für den Aufbau von Knochen und Zähnen und vegane Quellen sind z.B. mit Kalzium angereicherte vegane Milchsorten (z.B. angereicherte Soja-Drinks), mit Calciumsulfat hergestellter Tofu, Baked Beans, dunkelgrünes Blattgemüse mit wenig Oxalsäure [d.h. nicht Spinat oder Mangold], wie z.B. „Spring Greens“ [Wildkohl, in England üblicherweise erhältlich] oder Grünkohl. Calciumpräparate sind möglicherweise notwendig, falls die Ernährung nicht genügend Calcium enthält. Eisenmangelanämie ist das am weitesten verbreitete Nährstoffproblem bei Kindern und bei veganen Kindern besteht kein höheres Risiko als bei nichtveganen Kindern. Gute Quellen für Eisen sind sind z.B. Vollkorngetreide oder angereichertes Getreide, mit Eisen angereicherte Frühstückszerealien, Hülsenfrüchte, grünes Blattgemüse und Trockenfrüchte. 

7) Wenn eine Mutter ihr Kind nicht stillen kann, was wäre die zweitbeste Option?
Leider gibt es im Moment keine vegane Baby-Milchpulvernahrung auf Sojabasis. Die Vegan Society und andere vegane Organisationen ermutigen Firmen dazu, vegane Baby-Milchpulvernahrung herzustellen, aber, in der Zwischenzeit, für den sehr seltenen Fall, in dem eine vegane Mutter ihr Baby nicht stillen kann, sollte sie Baby-Milchpulvernahrung auf Sojabasis in Betracht ziehen, die [als einzige nichtvegane Zutat] nichtveganes Vitamin D3 enthält.

8) Vegane Mütter werden oft von Freunden, Familienangehörigen und sogar Ärzten ermahnt, dass Kinder Kuhmilch trinken, mindestens wöchentlich Fisch oder regelmäßig bestimmte tierischen Produkte essen müssten, damit sie sich gut entwickeln könnten. Manchmal bekommen Mütter zu hören, dass Kinder, die komplett vegetarisch oder vegan aufgezogen werden, häufig bestimmte Mängel bekommen oder sogar permanente körperliche Schäden davon tragen können. Was halten Sie von diesen oder ähnlichen Behauptungen?
Das kann ich jedes Mal kaum glauben. Warum denken Elten, die Mischköstler sind, dass ihre Ernährung besser wäre? Normalerweise ist das Gegenteil der Fall! Mehrere Studien haben die Nährstoffaufnahme von veganen Kindern untersucht und die gesundheitlichen Vorteile sind ausführlich dokumentiert: Vegane Kinder nehmen mehr Obst und Gemüse und weniger Fett, gesättigete Fette und Cholesterin zu sich als Kinder, die mit Mischkost ernährt werden. Dies ist möglicherweise wichtig, um das Risiko für chronische Krankheiten wie Herzkrankheiten und Fettleibigkeit zu reduzieren. Außerdem werden Kinder durch eine vegane Ernährung oft mit einer größeren Vielfalt vollwertiger, pflanzlicher Lebensmittel vertraut gemacht, was den Kindern hilft, gesunde Essgewohnheiten für ihr ganzes Leben zu entwickeln. Steht das nicht im Gegensatz zu den mit Mischkost ernährten Kindern, die oft Hamburger, Süßigkeiten und anderes Fast Food essen? Ich bin überzeugt, dass vegane Kinder gesünder sind im Vergleich zu mit Mischkost ernährten Kindern. 

9) Würden Sie empfehlen, dass vegane Mütter und Kinder ein DHA-Präparat einnehmen?
Diese langkettige Omega-3-Fettsäure hat großes Interesse hervorgerufen und ich glaube nicht, dass es nötig ist, ein DHA-Präparat einzunehmen. DHA ist eine nicht essenzielle Fettsäure, weil sie im Körper aus alpha-Linolensäure (ALA) hergestellt wird. Quellen für ALA [eine kurzkettige Omega-3-Fettsäure] sind z.B. Beeren, Blattgemüse, Leinsamen, Rapsöl, Hanfsamen und Walnüsse. Es ist wichtig, dass eine vegane Ernährung abwechslungsreich und ausgewogen ist, um eine ausreichende Umwandlung in diese Fettsäure [von ALA in DHA] zu garantieren. Deshalb wird empfohlen, dass man Leinsamenöl (Leinöl) oder Rapsöl in die Ernährung von Kindern ab einem Alter von ungefähr einem Jahr miteinschließt. Zu empfehlen ist ca. ein halber Teelöffel Leinsamenöl oder ein Teelöffel gemahlene Leinsamen oder ein Teelöffel Rapsöl pro Tag. 

10) Haben Sie noch irgendwelche anderen Tipps für vegane Mütter oder würden Sie noch gerne etwas hinzufügen?
Ich habe absolut keinen Zweifel daran, dass viele der chronischen Krankheiten im Erwachsenenalter sich in der Kindheit manifestieren, und ich glaube, ein Kind mit einer gut geplanten, ausgewogenen veganen Ernährung großzuziehen, kann diesen Kindern den besten Start ins Leben geben. Ich würde alle Eltern dazu ermutigen, gut vorbereitet zu sei und sich über vegane Ernährung zu informieren, so dass sie selbstsicher damit umgehen können, wenn sie von Familienangehörigen, Freunden oder Ärzten, die es gut meinen aber die oft schlecht informiert sind, Ratschläge bekommen. Ich glaube, dass vegane Ernährung die Ernährung des 21. Jahrhunderts ist und Kindern einen besseren Start ins Leben geben und ihnen helfen kann, gesunde Essgewohnheiten und Überzeugungen für ihr ganzes Leben zu entwickeln.