Wie Karl Kraus Rosa Luxemburg und die Büffel verteidigte (1920)


Im Dezember 1917 schrieb Rosa Luxemburg einen Brief aus dem Gefängnis an Sophie (Sonja) Liebknecht, in dem sie ihre Empathie mit Tieren ausdrückte.

Im Juli 1920 wurde in dem Magazin des berühmten österreichischen Schriftstellers Karl Kraus "Die Fackel" dieser Brief abgedruckt (https://www.textlog.de/35925.html). [Dies scheint die gleiche Version zu sein wie die, die 1920 vom Verlag der Jugend-Internationale veröffentlicht wurde.]

In einer späteren Ausgabe von "Die Fackel" (November 1920) erschien dann ein gehässiger Leserbrief von einer Aristokratin aus Innsbruck vom 25. August 1920. Der Leserbrief - von Karl Kraus als "Antwort an Rosa Luxemburg von einer Unsentimentalen" bezeichnet - ist nicht besonders lesenswert, enthält das übliche Geschwätz, dass Kinder und Büffel schlagen nicht immer schlecht sei etc. und schließt mit "Es gibt eben viele hysterische Frauen, die sich gern in Alles hineinmischen u. immer Einen gegen den Anderen hetzen möchten; sie werden, wenn sie Geist und einen guten Stil haben, von der Menge willig gehört u. stiften viel Unheil in der Welt, so dass man nicht zu sehr erstaunt sein darf, wenn eine solche, die so oft Gewalt gepredigt hat, auch ein gewaltsames Ende nimmt." Das einzig Interessante an diesem Leserbrief ist, dass die Leserbriefschreiberin zusätzliche Information über die Büffel liefert: "Nun muß man aber wissen, dass die Büffel in diesen Gegenden seit undenklichen Zeiten mit Vorliebe als Lasttiere (sowie auch als Milchkühe) gezüchtet u. verwendet werden. Sie sind anspruchslos im Futter u. ungeheuer kräftig, wenn auch von sehr langsamer Gangart." Interessant ist auch, dass die Leserbriefschreiberin Rosa Luxemburgs Empathie mit Tieren als "larmoyante [weinerlich-sentimentale] Beschreibung des Büffels" und als "Sentimentalität" abtut, ganz ähnlich wie Lenin das bei Tolstoi tat: Lenin nannte Tolstoi 1908 "eine liederliche, hysterische Heulsuse, die man russischer Intelligenzler nennt", weil Tolstoi sich für den Vegetarismus einsetzte.

Karl Kraus beantwortete diesen Leserbrief mit einer langen, recht bissigen Antwort (November 1920). Kraus beschreibt darin den Kommunismus als ideell von reinem Ursprung, aber in der Praxis doch ziemlich schrecklich ("der Teufel hole seine Praxis"), wobei der Kommunismus aber erhalten bleiben solle, einfach um die reaktionäre und unterdrückerische Oberklasse zu verschrecken:
"[...] aber Gott erhalte ihn uns als konstante Drohung über den Häuptern jener, so da Güter besitzen [...]. Gott erhalte ihn uns, damit dieses Gesindel, das schon nicht mehr ein und aus weiß vor Frechheit, nicht noch frecher werde, damit die Gesellschaft der ausschließlich Genußberechtigten, die da glaubt, dass die ihr botmäßige [untertänige] Menschheit genug der Liebe habe, wenn sie von ihnen die Syphilis bekommt, wenigstens doch auch mit einem Alpdruck zu Bette gehe! Damit ihnen wenigstens die Lust vergehe, ihren Opfern Moral zu predigen, und der Humor, über sie Witze zu machen! [...]
[...]
Was ich aber außerdem noch meine [...] ist: [...] dass die Menschlichkeit, die das Tier als den geliebten Bruder anschaut, doch wertvoller ist als die Bestialität, die solches belustigend findet und mit der Vorstellung scherzt, dass ein Büffel »nicht besonders erstaunt« ist, in Breslau einen Lastwagen ziehen zu müssen und mit dem Ende eines Peitschenstieles »Eines übers Fell zu bekommen«. Denn es ist jene ekelhafte Gewitztheit, die die Herren der Schöpfung und deren Damen »von Jugend auf« Bescheid wissen läßt, dass im Tier nichts los ist, dass es in demselben Maße gefühllos ist wie sein Besitzer, einfach aus dem Grund, weil es nicht mit der gleichen Portion Hochmut begabt wurde und zudem nicht fähig ist, in dem Kauderwelsch, über welches jener verfügt, seine Leiden preiszugeben. Weil es vor dieser Sorte aber den Vorzug hat, »bloßen Vernunftgründen gegenüber nicht immer zugänglich« zu sein, erscheint ihr der Peitschenstiel »wohl ab und zu unerläßlich«.
[...]
Den Tieren jedoch, die nur durch Gewalt oder Betrug in die Leibeigenschaft des Menschen gelangen, ist es in dessen Rat bestimmt, sich von ihm entehren zu lassen, bevor sie von ihm gefressen werden. Er beschimpft das Tier, indem er seinesgleichen mit dem Namen des Tiers beschimpft, ja die Kreatur selbst ist ihm nur ein Schimpfwort. Über nichts mehr ist er erstaunt, und dem Tier, das es noch nicht verlernt hat, erlaubt ers nicht. Das Tier darf so wenig erstaunt sein über die Schmach, die er ihm antut, wie er selbst; und wie nur ein Büffel nicht über Breslau staunen soll, so wenig staunt der Gutsbesitzer, wenn der Mensch ein gewaltsames Ende nimmt. Denn wo die Welt für ihre Ordnung in Trümmer geht, da finden sie alles in Ordnung. Was will die gute Luxemburg? Natürlich, sie, die kein Gut besaß außer ihrem Herzen, die einen Büffel als Bruder betrachten wollte, hätte gewiß gern, wenn es ihr möglich gewesen wäre, den Büffeln Revolution gepredigt, ihnen eine Büffel-Republik gegründet, womöglich mit schönen Lauten der Vögel und dem melodischen Rufen der Hirten, wobei es fraglich ist, »ob die Büffel auf Letzteres so besonderes Gewicht legen«, da sie es selbstverständlich vorziehen, dass nur auf sie selbst Gewicht gelegt wird. Leider wäre es ihr absolut nicht gelungen, weil es eben auf Erden ja doch weit mehr Büffel [dumme Menschen o. ä.] gibt als Büffel! Dass sie es am liebsten versucht hätte, beweist eben nur, dass sie zu den vielen hysterischen Frauen gehört hat, die sich gern in Alles hineinmischen und immer Einen gegen den Anderen hetzen möchten.
[...]
Bei näherem Zusehn würde man jedoch erkennen, dass es [die Gutsbesitzerinnen] nur dumme Gänse sind. Womit man aber wieder in den verbrecherischen Hochmut der Menschenrasse verfiele, die alle ihre Mängel und üblen Eigenschaften mit Vorliebe den wehrlosen Tieren zuschiebt, während es zum Beispiel noch nie einem Ochsen, der in Innsbruck lebt, oder einer Gans, die auf einem großen südungarischen Gut aufgewachsen ist, eingefallen ist, einander einen Innsbrucker oder eine südungarische Gutsbesitzerin zu schelten. Auch würden sie nie, wenn sie sich schon vermäßen, über Geistiges zu urteilen, es beim »guten Stil« anpacken und gönnerisch eine Eigenschaft anerkennen, die ihnen selbst in so auffallendem Maße abgeht. Sie hätten — wiewohl sie bloßen Vernunftgründen »gegenüber« nicht immer zugänglich sind — zu viel Takt, einen schlecht geschriebenen Brief abzuschicken, und zu viel Scham, ihn zu schreiben. Keine Gans hat eine so schlechte Feder, dass sie's vermöchte! Meinen Sie nicht auch? Sie ist intelligent, von Natur gutmütig und mag von ihrer Besitzerin gegessen, aber nicht mit ihr verwechselt sein.
[...]"

Karl Kraus, Die Fackel, November 1920

Interessanterweise kritisiert Karl Kraus hier auch schon die Verwendung von Tierbezeichnungen als Beschimpfung, verwendet aber selbst solche Begriffe (Büffel, Gänse, Bestie), erkennt dies aber wiederum als eigentlich falsch an.


Quelle: https://www.textlog.de/35972.html


Karls Kraus, ca. 1920 (alle drei):




Die Fackel (von Karl Kraus), November 2020: